Strehl Kinderrehatechnik

Mit großen Schritten Richtung Zukunft

Unser Handwerk muss Hand und Fuß haben – vor allem aber Herz

Björn Strehl, Gründer und Geschäftsführer

Wir sind der Unterschied

Unser Unternehmen erfüllt gemeinsam mit Kunden, Ärzten und Therapeuten lebenswichtige Bedürfnisse für Kinder und Jugendliche. Dazu versorgen wir unsere kleinen Kunden mit rehatechnischen Hilfsmitteln und Spezialanfertigungen, wie beispielsweise individuell angepasste Sitzorthesen.

Mit großen Schritten Richtung Zukunft!

Die Wiederverwertung von Ressourcen ist heute wichtiger denn je. Auch für uns. So hat sich vor einiger Zeit eine Zusammenarbeit mit dem Airbus-Werk in Stade ergeben, von der nicht nur die Unternehmen profitieren, sondern vor allem auch die Umwelt.

Björn Strehl
Geschäftsführer
+49 4761 808040
Eike Stelling
Innovationsmanager
+49 4761 808040

„Wir sparen jährlich 174 Arbeitstage“

Unternehmer Björn Strehl hat noch das traditionelle Handwerk der Orthopädietechnik erlernt. Mit Unterstützung des Roboters Goliath führt er seine Branche nun in die Zukunft.

Die Strehl GmbH in Bremervörde, Niedersachsen, ist seit über 20 Jahren auf die Entwicklung von Optimierungen in der Kinderreha- und Orthopädietechnik spezialisiert. Mit mittlerweile 40 Mitarbeitern widmet sich das Unternehmen der Erforschung neuer Materialien und Fertigungsmethoden. Im Interview erzählt Gründer Björn Strehl über Inspiration durch Robotik, verzichtbare Abhängigkeiten von China und nachhaltige Produktionsweisen.

Im Alter von elf Jahren wurde bei mir im rechten Fuß ein Tumor festgestellt, die Amputation stand im Raum. Aber als ich nach dem OP-Termin aufgewacht bin, war der Fuß aber noch dran: Die Ärzte meinten, „wir probieren es noch mal“. Dieses Erlebnis hat mich dazu bewogen, das Handwerk des Orthopädietechnikers zu erlernen. Da ich mit meinem ersten Arbeitgeber allerdings unglücklich war, habe ich mit 24 meine eigene Firma gegründet.

Wir hatten uns schon länger mit dem Gedanken getragen.

Unser Ziel war es, bestimmte Arbeitsschritte in der Modellerstellung digitaler abzubilden.

Bislang ist Robotik in unserer Branche allerdings noch kaum etabliert, deshalb brauchte es einen zündenden Funken, um das Projekt in Angriff zu nehmen.

Wir waren unter jenen Betrieben, die im Jahr 2019 zur Teilnahme an der Internationalen Handwerksmesse in München eingeladen wurden – als einer von neun Betrieben durften wir in der Sonderschau „Land des Handwerks“ ausstellen.

Plötzlich sehen wir, dass werk5 da Roboter geparkt hatte.

Wir kommen ins Gespräch und stellen fest, dass die im Grunde das gleiche machen wie wir: Sie bauen Modelle.

Die Idee von werk5 war eine Toolbox, mit der Handwerksbetriebe den Roboter einfach als Arbeitskollegen einsetzen können – das entsprach genau unserem Wunsch.

Also haben wir uns zum Bier verabredet und festgestellt: Die Chemie stimmt auch noch!
Ein paar Monate später haben wir uns in Berlin getroffen und Nägel mit Köpfen gemacht: werk5 hat für uns die Software „STREHL- Orthocrafts“geschrieben, und nach vielen Vorarbeiten ist der Roboter im März 2020 hier eingezogen. Wir haben ihn übrigens Goliath getauft, weil der einrichtende Mitarbeiter von werk5 David heißt (lacht).

Hat Goliath sich gut eingewöhnt?

Wir sind noch dabei, den Arbeitsablauf weiter zu optimieren, aber grundsätzlich funktioniert es gut:

Wir fräsen mit dem Roboter und sparen richtig Zeit.

Jetzt ist einfach noch ein wenig Feinschliff nötig. Dafür sind wir mit werk5 in der Abstimmung. Ein paar Plug-Ins müssen noch verbessert werden und ein kleines technisches Problem musste zwischen werk5, uns und dem Roboterhersteller Kuka geklärt werden. Wenn man so ein großes Projekt anfährt, läuft eben nicht alles sofort glatt – das ist aber ganz normal.

Der Roboter sollte schlichtweg unseren Gipsraum ersetzen.

Bislang werden Kinder in der Orthopädietechnik abgegipst. Das finden sie aber eklig – erst recht, wenn sie auch kognitive Störungen haben, weil sie dann nicht verstehen, warum sie mit so einem nassen Zeug eingematscht werden, das zuerst heiß wird und dann aufgeschnitten werden muss.
Außerdem kostet das Eingipsen viel Zeit. Der Negativabdruck muss im Gipsraum händisch ausgegossen und in ein Gipspositiv umgearbeitet werden – eigentlich ein total schöner Teil des Handwerks. Aber er kostet unendlich viel Zeit und Lagerfläche, weil wir diesen Gips zwei Jahre lang aufbewahren, falls später nochmal Änderungen an den Orthesen vorgenommen werden. So ein Modell muss dann noch getrocknet und final bearbeitet werden, danach wird
aus Kunststoff oder Carbon ein Laminat aufgebaut – und das wird dann die fertige Orthese.

Seit wir das Gipsen durch einen Körperscan ersetzen, brauchen wir für den Abdruck beim
Patienten nicht mehr eine Stunde, sondern 15 Minuten.

Wir müssen niemanden mehr mit Gips einschmieren, es kann kein Gips mehr kaputt gehen – wir modellieren die Scan-Datei virtuell und schicken sie an den 7-Achs-Fräs-Roboter. Der fräst dann in 20 Minuten aus einem Block Polyurethan das Modell heraus. Im Gipsraum hat dieser Vorgang drei bis vier Stunden gedauert.

Wir sind also deutlich produktiver, die Lehrlinge müssen nicht mehr so viel Gips schleppen, die Patienten werden nicht mehr eingesaut, und wir sparen im Jahr 174 Tage Arbeit.

Nur ganz filigrane händische Aufgaben erledigen wir nach wie vor im Gipsraum.

Genau das kam von den älteren Kollegen: „Na, dann braucht Ihr mich ja bald nicht mehr, dann bin ich ja ersetzbar.“  Da musste man schon eine Menge Vertrauen aufbauen und ihnen sagen:

Der Roboter hilft euch, mehr nicht. Niemand wird ersetzt. Es ist doch toll, dass wir uns das leisten können, diesen Weg zu gehen.“

Und weil Robotik in dieser Branche noch nicht so verbreitet ist, sind wir dadurch interessanter geworden und haben mehr Zulauf von Bewerbern bekommen.

Ja, glücklicherweise. Auch dadurch, dass das Airbus-Werk hier in Stade wegen Corona tausende Leute kündigen musste, die alle das können, was wir können müssen: Kunststoff auf eine bestimmte Art verarbeiten. Aber es gab ja auch die Zeit vor und gibt hoffentlich die Zeit nach Corona.

Und ich bin überzeugt: Wer heute im Handwerk nicht auf dem Weg in die digitale Welt ist, der wird bald gar nicht mehr da sein.

Zumindest, wenn man nicht bewusst eine Manufaktur sein will, sondern ein Handwerksbetrieb, der wirtschaftlich arbeiten muss.

Das Team von werk5 hat sich zunächst vor Ort angesehen, wie wir arbeiten, wie unsere Prozesse aussehen, hat sich wirklich intensiv in uns hineingedacht. Das war eine großartige Zusammenarbeit voll positiver Spannung.

Der Werkstattleiter für die Rehatechnik, der Werkstattleiter für die Orthopädietechnik und unser Innovationsmanager: ein junger Ingenieur, der früher schon intensiv im Bereich Fräsen und Robotik gearbeitet hat und uns seit November bei unseren diversen Forschungs- und Entwicklungsprojekten unterstützt.

Genau diese drei Akteure. Die kennen alle Tricks und sind ständig mit werk5 im Kontakt, um etwaige Schwierigkeiten zu klären.

In den Workflows gibt es immer noch zu vieles, was man händisch machen muss. In einem konkreten Fall ging es um die Zentrierung des Werkstücks: Der Roboter hat sechs Bewegungsachsen, die siebente Achse ist ein Drehteller. Dieser Teller braucht eine Aufnahme, auf der das Werkstück eingespannt wird. Mittlerweile haben wir eine Lösung gefunden, wie wir mithilfe von Lasern das Objekt sehr schnell zentrieren können. Das sind so Kleinigkeiten, die man erst lernt, wenn man sich damit beschäftigt.

Bevor der Roboter einem Arbeit abnimmt, macht er unglaublich viel Arbeit (lacht).

Wir haben ihn auf den Social-Media-Kanälen gezeigt. Und wenn wir Kunden hier haben und den Prozess beschreiben, lassen wir sie auch hinter die Kulissen gucken.

Denn wir sind natürlich megastolz drauf, was hier im Hintergrund passiert. Klappern gehört ja immer zum Handwerk, auch bei uns.

Ich glaube, das beeindruckt die Kunden schon sehr, wenn sie den Unterschied zu anderen Betrieben sehen, wo alles noch etwas verstaubter ist.

Solange sie es kognitiv verstehen, schon – das ist natürlich der Hammer (lacht)! Wir möchten auch gerne ein Kinderbuch – mittlerweile unser drittes – produzieren, um das Thema Robotik etwas greifbarer zu machen.

Die Patienten ja, wir nicht (lacht). Ein Kind mit einer Schwerstmehrfachbehinderung kann häufig nicht stillhalten, geht in die Streckung, bekommt eine Spastik. Wir brauchen aber Ruhe. Wenn man selber den Gips anlegt, kann man das Kind immer noch ganz gut mit den Händen halten. Wenn man die Hände aber braucht, um den Scan zu machen, muss eine weitere Person das Kind halten, damit die Aufnahme nicht verwackelt.

Wir hatten vorher einen Altbau, der viel zu klein war, außerdem hatten wir einen hohen Krankenstand. Durch Zufall habe ich eine Feng-Shui-Meisterin kennengelernt und sie gebeten, die Räumlichkeiten auf ihre Energie zu überprüfen, ohne ihr vorher Konkretes zu erzählen. Sie hat die Bereiche, in denen die meisten Krankheitsausfälle auftraten, zutreffend benannt und uns Tipps für die Umgestaltung gegeben, die die Situation enorm verbessert haben.

Bei der Grundstücksuche für den Neubau habe ich sie ebenfalls hinzugezogen. Als ich ihr die Pläne zu einem echten „Schnäppchen“ zeigte, warnte sie mich, dass auf diesem Grundstück schon viele Insolvenzen aufgetreten sein müssten. Ein Anruf bei der Stadt bestätigte das. Schließlich fanden wir ein tolles Baugrundstück und haben hier das Gebäude mit den Mitarbeitern und der Feng-Shui-Meisterin zusammen geplant. 2013 sind wir eingezogen –
und es ist unglaublich, wie positiv sich seither alles entwickelt hat!

Mittlerweile haben wir drei Wirtschaftspreise bekommen, haben den Umsatz fast verdoppelt, haben einen extrem geringen Krankenstand – und enormen Spaß am Arbeiten!

Wir haben eine Zusammenarbeit mit Airbus begonnen und verwenden Carbonreste, die bei deren Flugzeugproduktion anfallen, für unsere Orthesen.

Und wir leben hier energieautark: Eine eigene PV-Anlage erzeugt 85 Prozent unseres Stroms, eine Wärmepumpe beheizt das Gebäude, die Gebäudehülle ist 24 Prozent besser isoliert als erforderlich; dadurch haben wir immer genug Reserven.

Im Vergleich zu den Kosten für einen Firmenneubau sind die Kosten für eine Feng-Shui-Beratung verschwindend gering, haben aber einen Riesen-Effekt.

Nein – weil ich fest davon überzeugt bin, dass der Kollege keine Seele hat (lacht). Ich glaube trotzdem, dass er sich ganz wohl fühlt, er hat sogar ein Fenster – welche Maschine hat das schon!

Wir sind auf der Suche nach umweltfreundlicheren Materialien, um daraus unsere Modelle zu fräsen. Das war der Vorteil von Gips – dessen Verarbeitung aber eben viel zu zeitaufwändig war. Nach wie vor möchten wir recyclingfähige Materialien ausprobieren. Deshalb arbeiten wir seit Anfang 2020 mit ehemaligen Airbus-Ingenieuren an der Technischen Uni Augsburg zusammen:

Wir haben beispielsweise Rohfasern verfilzt und mit Polyethylen verbacken und dadurch eine Gewichtsersparnis von 50 Prozent bei unseren Sitzorthesen erzielt – das ist gigantisch.

Von Bio-Kunststoffen sind wir mittlerweile wieder abgekommen – denn selbst „kompostiertbarer“ Kunststoff löst sich nicht vollständig auf, er ist nur nicht mehr sichtbar – und das ist eigentlich viel schlimmer. Da ist mir ein Stück Müll lieber, das ich sehen und fachgerecht entsorgen kann. Mein Lieblingsmaterial – wenn man bei Kunststoffen überhaupt davon sprechen kann – ist nach wie vor Polyethylen. Holz finde ich eigentlich viel schöner, aber das kann man bei uns
nicht einsetzen.

Polyethylen lässt sich endlos anwenden: Heute ist es eine PET-Flasche, morgen eine Fleece-Jacke, und übermorgen wieder eine PET-Flasche. Das ist ein toller Werkstoff, der auch mit relativ geringer Energie weiter recycelt werden kann.

Es wäre möglich, aber Wahnsinn, ein Modell aus Carbon zu fräsen, das nachher nur weggestellt wird. Am Wichtigsten ist es bei den Orthesen, ein Minimalgewicht zu erzielen. Deshalb ist das Auflaminieren auf dem Modell entscheidend.

Wir haben ein Rekordgewicht von 71 Gramm bei einer Kinderorthese geschafft – das ist schon genial.

Der Roboter kann aber eingesetzt werden zum Fräsen von Weichschäumen, die wir zur Polsterung etwa für Kopfstützen benutzen.

Inspiriert dich der Roboter zu weiteren Ideen?

Oh ja! Das geht so weit, dass wir überlegen, die Weihnachtsaussendungen, die ja immer noch in Printform verschickt werden, von einem Roboter eintüten zu lassen. Ein Roboter könnte auch Klebe- und Schweißarbeiten übernehmen, oder den 3D-Druck, wenn man ihn mit einem entsprechenden Aufsatz versieht.
Wir stellen mittlerweile Ersatzteile, bei denen das möglich ist, im 3D-Druck selbst her, statt auf Lieferanten zu warten.

Die Schwelle, sich einen Roboter ins Haus zu holen und den zu integrieren, ist erst mal hoch.

Aber wenn man gesehen hat, dass das alles keine Hexerei ist, dann geht man auch vom Mindset her ganz neue Wege und überlegt, was es noch für Arbeiten gibt, auf die eigentlich niemand Lust hat, die aber gemacht werden müssen.

Alle Bereiche, die schmirgeln und schleifen. Letztes Jahr habe ich ein altes Auto restaurieren lassen.

Die Lackiererin brauchte drei Wochen – weil sie zuerst alles von Hand glatt schleifen musste! Da sehe ich riesiges Potenzial für Roboter.

Jede Motorhaube hat ja ein bestimmtes Relief: Theoretisch kann man das scannen und dem Roboter die Daten als Zielvorgabe einfüttern.

Es war die Idee von werk5, möglichst viele Gewerke zusammenführen um zu erproben, wie viele Anwendungen sich überhaupt mit Robotik erledigen lassen. Zirka 15 verschiedene Gewerke arbeiten jetzt gemeinsam an dieser Frage – das ist total spannend.

An allererster Stelle steht die Erkenntnis, wie abhängig wir hinsichtlich der Bauteile von Asien sind: Uns fehlte ein elektronisches Bauteil aus China, das 43 Euro kostete, und auf das wir drei Monate warten mussten, bevor wir den Roboter überhaupt in Betrieb nehmen konnten. Hätte es doppelt so viel gekostet und wäre in Deutschland produziert worden, wäre es mir egal gewesen – dafür wären wir früher an den Start gegangen.

Die Wirtschaft muss sich grundsätzlich die Frage stellen: Wollen wir wirklich auf billig gehen, oder lieber gute Ressourcen hier im Land aufbauen? Wir sind ja gute Ingenieure – weshalb geben wir so etwas aus der Hand?

Eine zweite Erkenntnis war, dass unser Weg – uns nicht zum Erfüllungsgehilfen der Großindustrie zu machen, sondern in Entwicklung und Fertigung eigener Produkte zu investieren – goldrichtig ist.

Im Grunde ist es egal, wie viel man mit dem Roboter arbeitet: Von der neuen Arbeitsweise zu lernen, kann einen als Unternehmer enorm beflügeln, weil man ein anderes Bewusstsein für technische Möglichkeiten bekommt.

Das fällt uns Handwerkern ja oft schwer. Wir verachten die Industrie, weil sie „immer das gleiche“ macht. Aber was von diesem „immer Gleichen“ könnte man auch zur Individuallösung machen? Das ist entscheidend.

Ohne Förderung – denn die bestehenden Förderangebote machen oft die Schaffung von Dauerarbeitsplätzen zur Bedingung.

Aber das beißt sich: Man nutzt einen Roboter, um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, soll aber gleichzeitig Arbeitsplätze schaffen – die sich dann wegen des Fachkräftemangels nicht besetzen lassen.

Dann nimmt man vielleicht noch eine Förderung in Anspruch, die man zurückzahlen muss, was dann wirklich bitter ist. Da macht es viel mehr Sinn, alles selbst oder einen Teil auch fremd zu finanzieren.

Wer so ein Projekt in seinen Alltag integrieren will, braucht Geduld – und ein paar wirtschaftliche Reserven, weil es nicht von Anfang an funktioniert.

Das Rad läuft nicht gleich rund, sondern erst mal 8-eckig, dann 12-eckig, dann irgendwann oval, und dann vielleicht rund (lacht).